Ein Neubeginn. Die ersten Nachkriegsjahre in Maxglan

von Walter Irnleitner und Ergänzungen von Christoph Fuchs

Endlich war der Krieg zu Ende

Am 4. Mai 1945 überquerten die ersten amerikanischen Truppen auf der Eisenbahnbrücke in Lieferung die Saalach. Damit war der Zweite Weltkrieg für Salzburg faktisch zu Ende.1 Das grauenvolle Morden auf den Kriegsschauplätzen und die Bombenangriffe auf unsere Stadt waren vorbei. Besonders die Spuren der Bombardements auf Salzburg waren in den ersten Jahren aber noch sichtbar: 547 Menschen starben durch Bomben, von ungefähr 7.000 Häusern wurden 3.180 beschädigt, 14.463 Personen wurden dadurch obdachlos. Auch in Maxglan richtete besonders der 8. Bombenangriff vom 20. Dezember 1944 große Schäden an.2 Nach dem Ende des Krieges am 8. Mai 1945 wurde Österreich in den Grenzen, wie sie bis zum Anschluss an das Deutsche Reich 1938 bestanden hatten, wiederhergestellt und in vier Besatzungszonen aufgeteilt. Das Bundesland Salzburg gehörte dabei zur US-amerikanischen Zone und stand unter dem Kommando der USFA (United States Forces in Austria). Das Hauptquartier der Amerikaner lag damals in Maxglan im Camp Riedenburg (der späteren Riedenburgkaserne und heute Quartier Riedenburg). Für die Pfadfinder war das eine günstige Situation, denn die Amerikaner und allen voran ihr Kommandant in Österreich General Mark Wayne Clark waren bekennende Freunde der „Boy Scouts“. Am 25. Juni 1945 wurden die Pfadfinder Österreichs3 als erste von der US-Militärregierung genehmigte Jugendorganisation in Salzburg neu gegründet4 und in Maxglan traf man sich am 20. Oktober des Jahres zum ersten Mal nach sieben Jahren wieder. Die Pfadfinder wurden von den Amerikanern auch dazu eingesetzt, die Trümmer der Bombenschäden im Kaiviertel in der Salzburger Altstadt aufzuräumen. Als Dank dafür wurde den Salzburger Pfadfindern einige Jahre später (1953) der Lagergrund „Katze“ unterhalb der Festung überlassen.5

Abgesehen von den sichtbaren Schäden an Gebäuden und den Toten und Verwundeten in den Familien, gab es jedoch auch große Probleme aus psychosozialer Sicht bei der älteren Jugend zwischen 14 und 18 Jahren. Sie war immer noch gespalten, die zentrale Frage „Sind wir besiegt oder befreit worden?“ stand im Raum, wurde aber kaum beantwortet. Die ideologische Beeinflussung von sieben Jahren systematischer Propaganda, aber auch das familiäre Umfeld der vielfach nationalsozialistischen Erwachsenengeneration war problematisch für die Wertefindung in den ersten Nachkriegsjahren. Für die jüngeren Jahrgänge im Wölflings- und Späheralter hatte das damals noch weniger Bedeutung.

Das erste Jahr

Pater Hartwig, PaHa genannt, leitete die Gruppe als Gruppenfeldmeister, Josef „Pepi“ Zauner war Feldmeister (Leiter der Pfadfinder) und seine Schwester Hermine Zauner und Maria Berger waren für die Wöflingsmeute zuständig. Zu dieser Zeit gab es nur drei Altersstufen: Wölflinge, Pfadfinder und Rover – Pfadfinderinnen gab es damals nur in einer Gruppe in der Innenstadt. Bei den vier Patrullen in Maxglan – Wölfe, Schlangen, Füchse und Adler – war die Begeisterung für die Pfadfinderidee groß, vor allem deshalb, weil Pepi Zauner ein fantastischer Jugendleiter war. Er verstand es wie kein anderer, die Inhalte des Pfadfindertums auf eine Art zu vermitteln, die akzeptiert und verstanden wurde. Ehre, Treue und Hilfsbereitschaft waren zentrale Werte im Rahmen von Wahlspruch und Versprechen. Der Wortlaut des damaligen Pfadfindergesetzes war eindeutig, absolut und nicht zu hinterfragen: Der Pfadfinder gehorcht ohne Widerrede und macht nichts halb. Kritisches Denken war in dieser Zeit nicht gefragt. Auch der Leitungsstil war meist sehr autoritär. Sozialintegrative Leiter hatten Seltenheitswert, Pepi Zauner, liebevoll Jo genannt, war jedoch einer davon. Ihm zur Seite standen vier Hilfsfeldmeister (Franz Junger, Hans Ressl, Willi Ressl und Josef Berger), die für die intensive technische Ausbildung der Neulinge zuständig waren. Die Patrullenheimstunden wurden in der Almhütte neben dem alten Maxglaner Pfarrheim gehalten. Nach dem 10 Uhr Gottesdienst am Sonntag war meist Gelegenheit zum Ablegen der Erprobungen für die 3. und 2. Klasse und den Erwerb von Spezialabzeichen. Truppheimstunde war jeden Samstag, auch in Form von Geländespielen, in der damals noch weitgehend unverbauten Umgebung des Pfarrhofes. Eine erste Weihnachtsfeier wurde gemeinsam mit ukrainischen Exilpfadfindern im Flüchtlingslager Lexenfeld gefeiert.

Die Zeit war sehr einfach und von großer Not und Entbehrung geprägt. Beim ersten Pfingstlager am Hintersee 1946 marschierte die Hälfte der Teilnehmer zu Fuß über die Glasenbachklamm zum Lagerplatz, die anderen kamen mit Fahrrädern. Früher waren sie aber trotz fahrbaren Untersatzes auch nicht am Lagerplatz, denn die alten „Tschesen“ aus der Vorkriegszeit mit abgestandener Bereifung führten zu öfteren Reparaturpausen. Immerhin war es ein Erlebnis, besonders für die Pfadfinderneulinge: Zwei Regentage in ausgedienten deutschen Viermannzelten zu übernachten und erste Erfahrungen in Pfadfinderaktivitäten zu sammeln.

Beim ersten Georgswettbewerb der Salzburger Pfadfinder am 14. Mai 1946 ging die Maxglaner Patrulle Schlangen als Sieger hervor. Auch im Jahr darauf siegten die Schlangen und der zweite Platz ging an die Maxglaner Wölfe. In Salzburg machte man sich so einen besonderen Ruf.

Im Sommer des Jahres 1946 fand das Sommerlager in Fürberg am Wolfgangsee statt. Die Hauptproblematik der ersten Nachkriegsjahre war die prekäre Ernährungslage.6 Wir lebten am Sommerlager von amerikanischen Hundekeksen, Trockenei und Milchpulver, fallweise rationiertem irischen Salzspeck, halbierten Trockenerbsen und von Pater Hartwigs, bei den Walser Bauern erbettelten, Kohlköpfen und Kartoffeln. Mit einem amerikanischen Militär-LKW ging es bis Aich, dann musste das Material über den Berg zum See geschleppt und mit dem Schlauchboot der Feuerwehr weiter über die Seebucht zum Lagerplatz gerudert werden. Wie man Pfadfinder wird, lernten wir in diesen zehn wunderschönen Lagertagen.

Bereits im April des Jahres 1946 fand in Salzburg die Gründungsversammlung der Pfadfinder Österreichs (PÖ) statt. Die schon vor 1938 bestehenden Verbände des Pfadfinderkorps St. Georgs (ÖPK) – dem wir Maxglan angehörig waren – und der Pfadfinderbund (ÖPB) wurden aufgelöst und eine (!) gemeinsame Organisation unter großem Beifall der Beteiligten und dem Willen nunmehr „ein einig Volk von Brüdern“ zu sein geschaffen.7 Bei dieser Versammlung wurde auch die Gründung eines eigenen Verbands für Pfadfinderinnen gefördert, was in Salzburg auch zur Gründung eines Landeskorps der Pfadfinderinnen führte.8 In Maxglan begann die Arbeit mit Pfadfinderinnen allerdings erst einige Jahre später 1966.

Im August 1946 konnte eine Maxglaner Patrulle am ersten gemeinsamen Lager der Pfadfinder Österreichs (PÖ), dem Lager der Freundschaft in Gargellen im Montafon in Vorarlberg, teilnehmen. Charlotte Teuber9 war die Köchin und Karl Schmachtl machte ihr erfolgreich Konkurrenz. Die Lagerleitung hatte der Salzburger Landesfeldmeister Alexej „Axi“ Stachowitsch. Bergtouren wurden organisiert und am St. Antönier Joch standen wir mit einem Fuß auf Schweizer Boden und auch die erste Schokolade nach Kriegsende konnten wir am Lager genießen.

Bereits im ersten Jahr stieg die Anzahl der Mitglieder auf 80 Pfadfinder in den drei Altersstufen Wölflinge, Pfadfinder und Rover.10 Die Pfadfinder gliederten sich in fünf Patrullen (Adler, Schwalben, Wölfe, Schlangen und Gämsen) und es wurde gar eine erste ‚Tochtergruppe‘ in der Kendlersiedlung gegründet.

Der Wandel

In den folgenden Jahren formte sich das Erscheinungsbild der Maxglaner Gruppe. Es wurde einerseits großer Wert auf angewandte Pfadfindertechnik gelegt, vor allem im Rahmen des jährlichen Georgswettbewerbs mit den Patrullen des ganzen Landeskorps Salzburg. Andererseits prägte das Auftreten der Pfadfinder in der Öffentlichkeit eine äußerst stramme Ausrichtung in Form von Aufmärschen bei den verschiedenen Veranstaltungen wie Fronleichnam in der Stadt, Wiedereinweihung des Doms oder beim herbstlichen Christkönigsfest. In Dreierreihen, Marschlieder singend und später auch mit Fanfaren und Trommeln war charakteristisch für unser Auftreten. Es war Ausdruck der Zeit und ein beginnender konservativer Gegenpol zu den sogenannten Halbstarken, jener Jugend, die durch den american way of life zu Gegenspielern der alt eingesessenen Moralvorstellungen ihrer Elterngeneration wurden, mit Lederjacken, lässigen unmilitärischen Frisuren und Rock’n’Roll Musik.

Ein besonderes Ereignis und Aufwind für die Gruppe Maxglan brachte der Besuch von Oberst John Skinner Wilson, dem Sekretär des Internationalen Büros der Pfadfinder, am 8. Mai 1947. Ein großer Förderer der damaligen Zeit war der US-Amerikaner Jim Atkinson, der uns Fahrzeuge der US-Armee vermittelte, mit denen die Pfadis zu den verschiedenen Veranstaltungen und Lagern transportiert wurden. Das unterstrich zwar das eher militärisch wirkende Bild der Maxglaner, wurde aber durchwegs positiv gesehen, innerhalb und außerhalb der Gruppe.

Von 9. bis 21. August 1947 trafen sich 40.000 Pfadfinder in der Nähe von Paris zum 6. Jamboree des Friedens in Moisson, darunter auch einige Maxglaner unter der Leitung von Pepi Zauner und Pater Hartwig. Rund zehn Buben konnten zur gleichen Zeit bei englischen Familien schöne Ferien erleben. Die Jüngeren von uns fuhren unter Leitung des späteren Landesfeldmeisters Walter Watzenböck ins Felbertal, der späteren Gründungsstätte des Werkschulheimes11, auf Sommerlager.

Die steigende Zahl der Mitglieder brachte auch die ständige Suche nach neuen Räumlichkeiten für die Heimstunden mit sich. Ab Jänner 1948 konnte der Karlbauernhof in Maxglan als Heimraum genutzt werden. Durch Bombentreffer war der Bauernhof teilweise zerstört worden, jedoch vier Räume – für jede Patrulle ein eigener Raum – konnten acht Jahre lang als Patrullenheime genutzt und sogar beheizt werden. Die Eulen trafen sich darin am 3. November 1956 zu ihrem letzten Heimabend. In der darauffolgenden Zeit wurde der Rest des Bauernhofes geschleift und im Sommer 1959 das neue Kriegerdenkmal eingeweiht.

Ende September 1949 kam Pater Sighard (WupeiFu) von Seewalchen wieder nach Maxglan zurück. Er war der wichtigste Pfadfinderleiter der 1930er Jahre in Maxglan und ein begeisterter Pfadfinder. Die Zuständigkeit für die Pfadfinder verblieb aber bei Pater Hartwig.

Die Jahre bis zum größten Ereignis der Nachkriegszeit, dem Jamboree in Bad Ischl 1951, sind geprägt von einer Vielzahl von Aktivitäten und Lagern. Das erste Auslandslager der Gruppe fand 1950 am Lido in Venedig statt, auch dabei half wieder die US-Armee mit Transportfahrzeugen.

Aus gesamt österreichischer Sicht brachte das Jahr 1950 eine herbe Niederlage. Die nur Jahre zuvor gefeierte Einheit aus ÖPK und ÖPB im neuen Verband der PÖ zerbrach. Am 12. März 1950 spaltete sich der Pfadfinderbund ab und gründet einen eigenen Verband, den es bis heute noch gibt. Die Gründe dafür sind vielschichtig, in erster Linie jedoch Kritik an der engen Bindung zur katholischen Kirche.12 Für uns Maxglaner hatte das jedoch keine Bedeutung.

Anmerkungen

  1. Chronik der Stadt Salzburg 1945–1955 zusammengestellt von Margit Roth, Peter F. Kramml, Erich Marx und Thomas Weidenholzer, online verfügbar https://www.stadt-salzburg.at/fileadmin/landingpages/stadtgeschichte/stadtchronik/stadtchronik_1945_bis_1955_00160721.pdf (19.1.2024).  ↩︎
  2. Die Luftangriffe auf die Stadt Salzburg. Nach gleichzeitigen Aufzeichnungen und gef. Mitteilungen des Städtischen Statistischen Amtes. In: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde, Nr. 86/87, Jahrgang 1946/47, S. 118–121, online verfügbar unter https://www.zobodat.at/pdf/MGSL_86_87_0118-0121.pdf (11.2.2024). ↩︎
  3. Die Pfadfinder Österreich (PÖ) sind ein Zusammenschluss der bis 1938 bestehenden Verbände ÖPK (Österreichscher Pfadfinderkorps St. Georg) und ÖPB (Österreichischer Pfadfinderbund)  ↩︎
  4. Chronik der Stadt Salzburg 1945–1955 zusammengestellt von Margit Roth, Peter F. Kramml, Erich Marx und Thomas Weidenholzer, online verfügbar https://www.stadt-salzburg.at/fileadmin/landingpages/stadtgeschichte/stadtchronik/stadtchronik_1945_bis_1955_00160721.pdf (19.1.2024)
    Manfred Fux, Geschichte der österreichischen Pfadfinderbewegung. Von den Anfängen bis zum „Jamboree der Einfachheit“ (1912–1951), in: Franz Loidl (Hrsg.), Veröffentlichungen des kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien, Band 8, Wien 1970, S. 241.  ↩︎
  5. Hans-Georg Kepplinger, ehemaliger Präsident der Salzburger Pfadfinder und Pfadfinderinnen, erörtert den geschichtlichen Hergang, wie der Landesverband Salzburg neben anderen Objekten zum Weingarten am Mönchsberg auf der Richterhöhe kam. Präsentationsfilm für das Weinbau Museum Salzburg, 2021, Videoarchiv der Pfadfinder Maxglan, online verfügbar: https://vimeo.com/537124271 (12.2.2024)  ↩︎
  6. Im Sommer 1946 erreicht „mit 950 Kalorien für einen Normalverbraucher die tägliche Lebensmittelversorgung einen absoluten Tiefpunkt“ aus der Chronik der Stadt Salzburg. Grund dafür sind die Plünderungen der Lebensmittellager unmittelbar nach Kriegsende, der Zusammenbruch der NS- Organisation für Nahrungsmittel und die Tatsache, dass neben der Bevölkerung noch viele zusätzliche Menschen versorgt werden mussten: Displaced Persons (ehemalige Gefangene aus den Lagern und Vertriebene), Kriegsgefangene und die Besatzungssoldaten. ↩︎
  7. Manfred Fux: Geschichte der österreichischen Pfadfinderbewegung, Wien 1970, S. 249. ↩︎
  8. Ebd., S. 253. ↩︎
  9. Charlotte Teuber (1923–1998) war die Tochter von Wilhelm Teuber-Weckersdorf, in Pfadfinderkreisen Onkel Teuber genannt. Gemeinsam mit  Alexej Stachowitsch haben sie am 25. Juni 1945 die Pfadfinder Österreich gegründet.  ↩︎
  10. 10.11.1946 Chronik der Gruppe check im Logbuch!  ↩︎
  11. Im Anschluss an das Jamboree 1951 in Bad Ischl gegründete Schule als Kombination aus einer allgemeinbildenden höheren Schule und einer Handwerksausbildung. Der erste Leiter des Werkschulheimes war von 1951–1958 Alexej Stachowitsch, der damalige Landesfeldmeister von Salzburg. https://www.werkschulheim.at/geschichte.html (12.2.2024) ↩︎
  12. Manfred Fux: Geschichte der österreichischen Pfadfinderbewegung, Wien 1970, S. 255. ↩︎