Das Jahr 1938 und ein vorläufiges Ende

von Christoph Fuchs und Max Wirnsberger

Das Jahr 1938 bildete ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte – und das nicht nur in jener unserer Pfadfindergruppe. Um die Zusammenhänge besser zu verstehen geben wir euch als Einleitung einen Überblick über die politische Situation der Ersten Republik.

Zur politischen Situation in der ersten Republik

Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und der Niederlage Österreich-Ungarns formte sich aus den Resten der großen Monarchie die Erste Republik. Die ersten Wahlen fanden im Oktober 1920 statt. Die Politik bis zum Beginn der 1930er Jahre war vom Gegensatz der bürgerlichen Regierung und der sozialdemokratischen Opposition geprägt. Die Weltwirtschaftskrise von 1929, die damit verbundene steigende Zahl der Arbeitslosen sowie die Spannungen zwischen den politischen Lagern, mit ihren paramilitärischen Verbänden (christlichsoziale Heimwehr und sozialdemokratischer Schutzbund), führten zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die ihren Höhepunkt im Februar 1934 erreichten. Die Situation führte zur „Selbstausschaltung des Parlaments“1, einer Einheitspartei (der Vaterländischen Front) und zu einem autoritären Ständestaat (auch Austrofaschismus genannt) unter Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg.

Neben den beiden Lagern, die heute mit der ÖVP und der SPÖ verglichen werden können, gab es jedoch noch weitere politische Lager wie zum Beispiel die Kommunisten und die NSDAP (Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei, meist als Nazis bezeichnet). Bereits 1932 gelang der NSDAP ein erster Durchbruch in Österreich. In Wien, Niederösterreich und Salzburg wurden die Landtage gewählt, in der Steiermark und Kärnten die Gemeinderäte. Einziger Sieger der Wahlen war die NSDAP, in Salzburg kam sie auf knapp 21 Prozent der Stimmen.2 In Maxglan konnten die Nationalsozialisten sogar 28 Prozent der Stimmen erreichen.3 Kurz darauf (1933) kam Adolf Hitler im benachbarten Deutschland an die Macht und auch in Österreich führte das zu einem Anstieg der NS-Begeisterung in der Bevölkerung. In Österreich war die NSDAP jedoch mittlerweile verboten worden, so wie auch alle anderen politischen Konkurrenten der regierenden Vaterländischen Front. Die Nationalsozialisten antworteten auf das Verbot mit Terror. Im Juli 1934 erreichte die nationalsozialistische Gewalt in Österreich ihren Höhepunkt mit einem Putschversuch, bei dem auch der Bundeskanzler Dollfuß erschossen wurde.

Die politisch instabile Lage und die Demontage der Demokratie machten auch vor der seit 1919 sozialdemokratisch geführten Gemeinde Maxglan nicht halt. Bei der Gemeinderatssitzung im August 1933 wurden die Gemeinderäte ihrer Mandate beraubt und zwei Jahre später (1935) wurde Maxglan in die Landeshauptstadt eingemeindet.

Rot-weiß-rot bis in den Tod!
Es galt als mutig, ein Pfadfinder zu sein

Ab 1936 wurden alle Jugendorganisationen und Jugendvereine im Österreichischen Jungvolk (ÖJV), als Staatsjugendorganisation der Austrofaschisten organisiert. Eine Ausnahme bildete die sogenannte Konkordatsjugend4 zu der auch das Pfadfinderkorps St. Georg5 und damit auch wir Maxglaner Pfadfinder zählten.6 Die ersten Jahre verliefen dabei recht gut, wie in der letzten Ausgabe der Glocke7 geschildert. Mit dem Aufstreben des Nationalsozialismus wurde es für die Pfadfinderbewegung sehr schwierig und unangenehm. In der Propaganda des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland wurden die Pfadfinder bekämpft und verunglimpft, sie galten als „internationalistisch“. Die Nazis in Österreich übernahmen diese Haltung natürlich. In einer Passage aus dem Dienstbuch der NSDAP (bereits 1932 in Wels erschienen) liest man über die Pfadfinder: „Aus der Weite ihres völkischen Weltbildes heraus muss die HJ auch die kirchlichen Jugendorganisationen als konfessionell eingeengt und daher die völkische Einheit der deutschen Jugend störend ablehnen […]. Das Gleiche gilt für das Pfadfindertum, das nicht deutscher Eigenart entsprungen, sondern als angelsächsischer Import zu uns gekommen ist.“8

Infolgedessen kam es in Österreich zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der illegal existierenden Hitlerjugend und den Pfadfindern. Berichten zufolge wurden Sprengsätze in Pfadfinderheimen gezündet und sogar Gruppenfeldmeister9 ermordet.10 Auch in Maxglan gab es Überfälle und Raufereien am Schulhof zwischen den Nationalsozialisten und den Pfadfindern, wie Josef „Pepi“ Zauner erzählt.11

Bis zum Verbot im März 1938 sah man Pfadfinder auf Widerstandskundgebungen gegen das Regime und auf Fackelzügen, die von der Vaterländischen Front organisiert wurden. Es galt mittlerweile als mutig, ein Pfadfinder zu sein und auch im ÖJVfiel man durch besonders gutes und ordentliches Verhalten auf. Innerhalb der Gruppe waren Zusammenhalt und Geborgenheit großgeschrieben.

Am 20. Februar 1938 hielt Adolf Hitler eine Rede vor dem deutschen Reichstag.12 Er sprach dabei über das Verhältnis des Deutschen Reichs zu Österreich. Für die bekennenden Nationalsozialisten in Österreich war es ab nun nur noch eine Frage von Tagen, wann der Anschluss an das Deutsche Reich erfolgen wird. Zu einem Fackelzug der Nazis am nächsten Tag (21. Februar 1938) zum Salzburger Residenzplatz kamen etwa 19.000 Teilnehmer und weitere 15.000 versammelten sich entlang der Straßen. An der Spitze wurden Transparente mit „Heil Hitler!“, „Sieg Heil!“ und „Österreich ist erwacht!“ getragen, Fahnen und Lampions mit Hakenkreuzen wurden verteilt, ganze Gruppen in SA und SS-Uniformen nahmen teil.13 Einige Tage später, am 25. Februar, veranstaltete die Vaterländische Front eine Gegenveranstaltung ebenfalls in Form eines Fackelzugs als „Ausdruck des geschlossenen Willens für ein freies, unabhängiges, christlich-deutsches Österreich“14. Auch das Pfadfinderkorps Maxglan war dabei. In den Logbüchern der Patrulle Wölfe und der Patrulle Adler zeugen die Aufrufe zum Fackelmarsch als letzter Eintrag vom Versuch des Widerstands gegen den Anschluss an das Deutsche Reich. Das Erscheinen war Pflicht und sollte ein politisches Bekenntnis sein: „Kommst Du nicht, dann nehmen wir an, dass Du auch weiterhin nicht mehr bei uns sein willst! […] Österreich! Rot-weiß-rot bis in den Tod!“15 Laut polizeilicher Zählung hätten 24.000 Personen am Umzug teilgenommen und 30.000–35.000 bei der Schlusskundgebung am Residenzplatz.16 In den Tagen danach gab es noch zahlreiche weitere Kundgebungen, wie zum Beispiel eine zehnstündige Anbetung für die Anliegen des Vaterlandes Österreich im Dom; daneben sah man aber immer mehr Leute mit Hakenkreuzbinden um den Arm, obwohl das Tragen des Hakenkreuzes noch verboten war.

Die Situation spitzt sich zu

In der Nacht vom 10. auf 11. März bewahrheitete sich die Vermutung. Am nächsten Tag trug ein großer Teil der Salzburger Bevölkerung Hakenkreuz-Armbinden, teilweise eilig selbst hergestellt, Leute grüßten schon mit „Heil!“. Viele Militärfahrzeuge fuhren in der Maxglaner Hauptstraße auf, die Hauptschule wurde von der SA besetzt und Flieger warfen Flugblätter ab mit dem Inhalt „Die NS-Regierung Deutschlands begrüßt die NS-Regierung Österreichs“.17

Im Gasthof Ganshof in Maxglan feierte schon die SS. Es herrschte leichter Regen und der Hilfsfeldmeister Pepi Zauner schmuggelte das gesamte Material der Gruppe unter einer weiten Regenpelerine aus dem Heim im Ganshof. Er ging ungefähr 15-mal ins Heim und konnte so auch die Logbücher retten, die uns heute als wichtiges Zeugnis für diese Zeit dienen. Ein paar Tage später, als die Nazis das Material einkassieren wollten, fanden sie nur das leere Heim vor und glaubten, alles sei schon beschlagnahmt worden. Erst jetzt stellte sich heraus, dass einer der Pfadfinder schon vorher bei den Nazis war.18

Am 13. März beschließt die Regierung Seyß-Inquart das „Bundesverfassungsgesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“. Zur nachträglichen Legitimation setzten die Nationalsozialisten für den 10. April 1938 eine Volksabstimmung im gesamten Deutschen Reich über den Anschluss an. Offiziell stimmten 99,73 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher für den Anschluss, nachdem die jüdische Bevölkerung gemäß den Nürnberger Rassegesetzen und sämtliche sonstige Gegner des NS-Regimes von der Abstimmung ausgeschlossen worden waren.19

Das Verbot der Pfadfinder

Mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurde das ÖJV und alle Gruppen der Konkordatsjugend verboten und der Hitler-Jugend (HJ) zugeordnet. Anfangs war dort die Mitgliedschaft noch freiwillig, doch mit der Einführung der „Jugenddienstpflicht” im Jahr 1939 gehörten nahezu alle Jugendlichen von 10 bis 18 Jahren der HJ an. Hier wurden sie nach Alter und Geschlecht getrennt in gesonderten Formationen erfasst. Im Deutschen Jungvolk und im Jungmädelbund waren die 10 bis 14-Jährigen organisiert, in der HJ im engeren Sinne und im Bund Deutscher Mädel (BDM) die Jungen und Mädchen zwischen 14 und 18 Jahren.20

Die meisten Österreicher und Österreicherinnen – und dazu zählten auch einige Angehörige der Pfadfinderbewegung – erhofften sich von Hitler bzw. dem nationalsozialistischen Regime in erster Linie eine Verbesserung ihrer persönlichen Lebensumstände.21

Bis Ende des Krieges 1945 gibt es von den Pfadfindern in Maxglan keine weiteren Berichte. Es finden zwar gelegentliche Treffen statt, teilweise auch mit Vertretern anderer ehemaliger katholischer Vereine, aber nichts davon ist dokumentiert oder konkret überliefert.

Anmerkungen

  1. Ist die vom damaligen österreichischen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß geprägte Bezeichnung für die am 4. März 1933 eingetretene Vorsitzlosigkeit des österreichischen Nationalrates, https://de.wikipedia.org/wiki/Selbstausschaltung_des_Parlaments (6.1.2024) ↩︎
  2. Alfred Ableitinger, Politik in Österreich 1918 bis 1933, in: Stefan Karner (Hg.), Die umkämpfte Republik. Österreich von 1918–1938, 2017, S. 31.  ↩︎
  3. Friedrich Steinkellner, Die Gemeinde Maxglan vom Kriegsende 1918/19 bis zur Eingemeindung 1935, in: Salzburger Bildungswerk, Maxglan. Ein Salzburger Stadtteil, 1990, S. 83.  ↩︎
  4. Im Sinne des Konkordats anerkannte kirchliche Jugendorganisationen. Das Konkordat war ein Vertrag zwischen der Republik Österreich und dem Heiligen Stuhl vom 5. Juni 1933. Nähere Informationen: Wilhelm Rees, Das österreichische Konkordat: was steht eigentlich drin?, 2011, https://www.uibk.ac.at/theol/leseraum/texte/925.html (6.1.2024). ↩︎
  5. Siehe dazu Die Glocke, Ausgabe 35/05, Jänner 2024. ↩︎
  6. Das Österreichische Jungvolk (ÖJV) war die Staatsjugend und Nachwuchsorganisation der Vaterländischen Front. Sie wurde im August 1936 gegründet und umfasste bei seiner Auflösung 1938 rund 350.000 Mitglieder zwischen dem 6. und 18. Lebensjahr. Der bereits 1914 gegründete Österreichische Pfadfinderbund (ÖPB) und der 1929 gegründete Österreichische Pfadfinderinnenbund wurden bereits mit der Gründung 1936 in das ÖJV eingegliedert, behielten aber ihre Selbständigkeit. ↩︎
  7. Siehe dazu Die Glocke, Ausgabe 35/05, Jänner 2024. ↩︎
  8. Das Dienstbuch der NSDAP. Österreichs Hitlerbewegung, Wels 1932, zit. n. Elisabeth Klamper (DÖW), Vorwort in: PPÖ, PfadfinderInnen in Österreich 1938, Mitgelaufen? Angepasst? Verfolgt?, 2. Auflage, 2007, S. 10. ↩︎
  9. Heute: Gruppenleiter. Der Begriff Feldmeister wurde von den Nationalsozialisten z.B. im RAD (Reichsarbeitsdienst) übernommen, wie viele andere damals gängige Bezeichnungen die aus der militärischen Sprache stammten.  ↩︎
  10. Vgl. Elisabeth Klamper (DÖW), Vorwort in: PPÖ, PfadfinderInnen in Österreich 1938, Mitgelaufen? Angepasst? Verfolgt?, 2. Auflage, 2007, S. 10. ↩︎
  11. Aus einem Gedächtnisprotokoll nach einem Gespräch von Christoph Fuchs mit Josef Zauner im Jahr 2004. ↩︎
  12. Die Reichstagsrede vom 20. Februar 1938 von Adolf Hitler kann in der Österreichischen Mediathek angehört werden: https://www.mediathek.at/atom/017831DE-05F-018E0-00000BEC-01772EE2 (19.1.2024) ↩︎
  13. Nach einem Bericht des Salzburger Volksblatt vom 22.2.1938, in: Siegfried Göllner, Die Stadt Salzburg 1938. Zeitungsdokumentation, n.d., S. 95,online verfügbar unter: https://www.stadt-salzburg.at/fileadmin/landingpages/stadtgeschichte/ns_projekt/dokumente/zeitungsdokumentation_1938.pdf (19.1.2024) ↩︎
  14. Ebd. S. 103.  ↩︎
  15. Logbuch Patrulle Wölfe, 1933–1950, online verfügbar: 1933–1951 Logbuch Späher Wölfe (PDF) sowie Logbuch Patrulle Adler, 1936–1950.  ↩︎
  16. Göllner, Die Stadt Salzburg 1938, S. 104. ↩︎
  17. Georg Sturm, „Der Fackelzug“ in: PPÖ, PfadfinderInnen in Österreich 1938, Mitgelaufen? Angepasst? Verfolgt?, 2. Auflage, 2007, S. 46. ↩︎
  18. Aus einem Vortrag von Josef „Pepi“ Zauner bei einem Gruppenrat 1988, aufgezeichnet von Georg Sturm jun., Siehe dazu Die Glocke, Ausgabe 01/09, Juni 1988 bzw. Ausgabe 20/09, Mai 2007. ↩︎
  19. Bundeskanzleramt, Jahr 1938. Finis Austriae: der Anschluss an Hitler-Deutschland, https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/besuchen-sie-uns/gang-der-geschichte/1938.html#:~:text=Am%2013.,Reich%20%C3%BCber%20den%20Anschluss%20an (19.1.2024). ↩︎
  20. NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln, Jugend in Deutschland 1918–1945, Die Hitlerjugend, https://jugend1918-1945.de/portal/Jugend/thema.aspx?bereich=projekt&root=26635&id=3448&redir= (19.1.2024). ↩︎
  21. Klamper, PfadfinderInnen in Österreich 1938, S. 15 ↩︎