von Christoph Fuchs
In unserm ersten Protokollbuch findet man eine Aufstellung der Aktivitäten, die im ersten offiziellen Jahr der Gruppe abgehalten wurden „4 Rodelausflüge auf den Mönchsberg und Walserberg, 6 ganztägige Ausflüge u. zw. [und zwar]: 2 auf den Gaisberg, je einen auf die Neubichlalm in Bayern, ferner 4 halbtägige Ausflüge u. zw. [und zwar] nach Fürstenbrunn, Josefiau, Saalach und Mönchsberg-Festung. Nun kam noch eine Radfahrpartie nach Lamprechtshausen dazu. Weiters hatten wir in diesem Vereinsjahr 5 Generalkommunionen. Aber auch beim Fackelzug zu Ehren des hl. [heiligen] Vaters in Rom beteiligte sich die Pfadfindergruppe. Einige Pfadfinder nahmen auch bei der Fahnenweihe des katholischen Burschenvereins Abtenau und an der Fahnenweihe des christlichen Turnerbundes in Salzburg teil. Wir veranstalteten mit dem Knabenhort gemeinsam eine Weihnachtsfeier der Pfadfinder des ganzen Landes Salzburg im Kurhaus. Wie alle Jahre so gingen wir auch heuer wieder Sternsingen, dies brachte uns wieder ein schönes Sümmchen Geldes herein.“1 Aber es gab innerhalb der Gruppe auch große Unstimmigkeiten, die nicht näher belegt sind. Als Folge davon wird der Gruppenleiter Franz Kübler mit einigen seiner „Getreuen“ im ersten Jahr (1929) im Zuge einer Versammlung wegen „schwerwiegender Gründe“ ausgeschlossen und Karl Lauth übernimmt darauf die Führung der Gruppe. Im selben Jahr verlässt auch der Kurat Pater Nikolaus Huber die Gemeinde Maxglan und wird von seinem Kooperator Pater Sighard Wuppinger abgelöst. Im März 1930 verlässt Karl Lauth die Gruppe wieder. Kriegner wird neuer Feldmeister, also Leiter des Pfadfindertrupps, aber auch er wird einige Monate darauf von Otto Höllermann abgelöst, der bislang als Schriftführer der Gruppe tätig war. Dieser häufige Wechsel und die Unsicherheit in der Führung der Gruppe spiegelt die allgemeine Situation des noch jungen katholischen Pfadfinderkorps St. Georg wider. Am 8. Dezember 1930 besucht der Landeskurat Holztrattner die Gruppe in Maxglan und klärt über die Ziele, Methoden und Aufgaben der Georgspfadfinder auf; daraufhin bricht in Maxglan großer Eifer aus.
Der Reichsbund und das Pfadfinderkorps St. Georg
Das Pfadfinderkorps2 Sankt Georg, zu dem sich auch die Ortsgruppe Maxglan zählte, war eine Teilorganisation des sogenannten Reichsbundes. Der Reichsbund wurde im Mai 1918 als Zusammenschluss aller katholischen Jugendorganisationen gegründet. Das Bündnis wurde noch vor Ende des Ersten Weltkriegs gegründet und nahm damit schon Bezug auf einen neuen Staat, ein neues Reich, das der Monarchie folgen würde. „Der Reichsbund der katholischen Jugend Österreichs vereint die Diözesanverbände zur Reichseinheit und zur einheitlichen Arbeit im Reiche. Die katholischen Jugendorganisationen müssen auch eine Reichsorganisation sein, welche auf die Jugendgesetzgebung des Staates maßgebenden Einfluß hat.“3
Für den kleinen Verein in Maxglan muss in den Anfangsjahren die Zugehörigkeit zur großen Organisation des Reichsbundes eine zentrale und wichtige Rolle gespielt haben. Davon zeugt die Erwähnung des Reichsbundes in unzähligen Einträgen im Protokollbuch und das Zusammentreffen mit vielen anderen Gruppierungen des Reichsbundes wie Knabenhorten, Gesellenvereinen, Turnern, Jung-Reichsbund und anderen katholischen Vereinen sowie die Tatsache, dass die Werte und Ziele des Reichsbundes auch in Maxglan hochgehalten wurden.4 Sich selbst bezeichneten die jungen Pfadfinder aus Maxglan aber nie als Reichsbündler, zumindest nicht in den überlieferten Aufzeichnungen unserer Gruppe. Sie fühlten und benannten sich wohl ganz als Pfadfinder. Auch die in den ersten beiden Jahren noch verwendeten Abenteuernamen wie Ratscha von Rojapeter, Old Shatterhand usw. wurden bald abgelegt.
Im Protokollbuch ist zu lesen, dass der Kornett und Gruppenleiter Karl Lauth 1930 die Gruppe verlässt, weil er Obmann des Reichsbunds wird – das dürfte jedoch eine Übertreibung sein. In den offiziellen Auflistungen des Reichsbunds scheint Lauth nicht auf, dafür aber ein anderer Maxglaner, Richard Treuer. Treuer war selbst nie in Maxglan als Pfadfinder tätig, er war jedoch von 1928 bis 1933 stellvertretender Obmann in der Bundesleitung des Reichsbunds in Österreich und dort bekannt für seine richtungsweisende Arbeit am Steyrer Bekenntnis.5 Vielleicht ist hier aber eine Verbindung zu Maxglan und Karl Lauth gegeben und Lauth wurde aus Maxglan zur Mitarbeit in die Bundesleitung abgezogen.
Für die Maxglaner zeigte sich das Österreichische Pfadfinderkorps St. Georg (kurz ÖPK) vor allem in größeren Veranstaltungen, an denen sie ab 1933 teilnahmen. So nahm der Kurat der Gruppe, Pater Sighard, im August 1933 am 4. Jamboree in Gödöllő in Ungarn teil. Im Februar 1934 nahm man beim Skirennen des ÖPK teil und im April des gleichen Jahres marschierte man mit anderen Pfadfindergruppen des ÖPK mit Fahnen zu einer vaterländischen Kundgebung am Domplatz in der Altstadt auf. Ein erster großer Höhepunkt für die Maxglaner war die Teilnahme am großen Pfingstlager des Pfadfinderkorps Salzburg in Fuschl. Aber auch zum Österreichischen Pfadfinderbund (ÖPB) gab es Kontakt. So ist eine Begegnung mit Wölflingen des ÖBP beim Sommerlager 1933 der Wölflinge in Michaelbeuern dokumentiert.
Wupeifu – Pater Sighard Wuppinger OSB
Eine zentrale Rolle in jener Zeit nahm der Kurat der Gruppe Pater Sighard Wuppinger ein. Im bürgerlichen Namen Johann Wuppinger (1898–1975) kam Pater Sighard im September 1929 als Kooperator nach Maxglan. Schon bald begann er sich auch für die Pfadfinder zu interessieren. Schon bald zeigte sich der Kurat auch als Gruppenfeldmeister (heute als Gruppenleitung bezeichnet). Über Pater Sighard heißt es im Protokollbuch, er habe die Einheit der Pfadfindergruppe wiederhergestellt. Darüber hinaus hat er die Pfadfinderarbeit entscheidend geprägt. Er kümmerte sich um viele Einzelheiten, sorgte für Gemeinschaftsveranstaltungen mit anderen Pfadfindergruppen in der Stadt und baute eine äußerst aktive Theatergruppe auf, deren Kern aus Mitgliedern der Patrulle Eulen bestand. Er war auch der erste Maxglaner auf einem internationalen Lager, dem Jamboree in Gödöllö 1933.
Die Teilnahme am Lager mit über 25.000 Teilnehmer aus 34 unterschiedlichen Ländern, davon 60 aus Österreich, zeigte nicht nur bei Pater Sighard große Wirkung, sondern auch bei seinen Schützlingen. So finden sich im Logbuch der Wölfe mehr als zehn Seiten mit Fotos, Karten und Berichten vom Jamboree, obwohl niemand der jungen Pfadfinder in Ungarn mit dabei war.
Die Finanzkrise der 1930er Jahre brachte jedoch besonders harte Zeiten für die Bevölkerung. Pater Sighard setzte sich aber auch hier für seine Pfadfinder ein. Durch Theateraufführungen, Verkauf von Sammelblocks und persönliche Bettelbriefe ermöglichte er auch mittellosen Pfadfindern die Teilnahme am bundesweiten Zeltlager des Pfadfinderkorps St. Georg vom 10. bis 27. Juli 1936 in Laxenburg. Unter den Spendern scheint auch der damalige Landeshauptmann von Salzburg, Dr. Rehrl mit einem Betrag von 10 Schilling auf.6 Eine beachtliche Summe, wenn man bedenkt, dass vielen Mitgliedern der Gruppe selbst die Bezahlung des Monatsbeitrages von 20 Groschen nicht möglich war. Das Lager kostete 50 Schilling pro Person (zum Vergleich: eine Semmel kostete damals 8 Groschen, eine Kinokarte 70 Groschen).7 Das Laxenburger Lager scheint aber dennoch für die 10 teilnehmenden Maxglaner Pfadfinder das Ereignis der Zwischenkriegszeit schlechthin gewesen zu sein. Kontakte zu Gruppen in anderen Bundesländern wurden geknüpft und das Ansehen der „Dörfler“ aus Maxglan stieg innerhalb Salzburgs. Auch Pater Sighards Spitzname Wu-Pei-Fu taucht in den Logbüchern zu dieser Zeit das erste Mal auf.
Politisch turbulente Zeiten
Die politisch turbulente Zeit in den 1930er Jahren brachte viele Probleme für die Bevölkerung und auch für die Pfadfinder. Neben Geldnöten plagte vor allem der politische Einfluss die verschiedensten Gruppierungen. So konnten zum Beispiel die aus dem benachbarten Bayern stammenden Mitglieder mit der Einführung der Tausend-Mark-Sperre nicht mehr an den Heimstunden teilnehmen, wie auch ein Brief im Logbuch der Wölfe bezeugt. Gruppierungen mussten sich zunehmend politisch eindeutig positionieren. Der Reichsbund und alle seine Teilorganisationen stellten sich entschieden gegen den Faschismus und die Nationalsozialisten. Zeugnis dafür bieten die unzähligen Einträge im Logbuch der Patrulle Wölfe die zur „Treue dem Vaterland“ aufrufen. Die politische Gesinnung und die „Vaterland Treue“ sind auch ein Grund dafür, dass das Pfadfinderkorps St. Georg ab 1934 weiterhin selbständig bestehen kann. Die meisten Organisationen müssen sich der Staatsjugend und der Vaterländischen Front unterordnen. Josef „Pepi“ Zauner (1920–2005), bereits in den 1930er Jahren bei den Maxglaner Pfadfindern, erzählte aus dieser Zeit, dass es auch zu Überfällen durch die damals noch verbotene Hitlerjugend kam, dabei gab es oft Raufereien und Feindschaften, die sich bis in die Schule weiterzogen … „eine harte Zeit.“
Der Anschluss Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 führt zum Verbot der Pfadfinder. Einen Tag nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in Salzburg konnte Zauner, nach eigenen Angaben, noch einiges an Ausrüstung und Dokumenten unter seinem Poncho an den deutschen Soldaten vorbei aus dem damaligen Pfadfinderheim im Ganshof retten. „Was mich heute jedoch noch ein wenig traurig stimmt, ist, dass ich es nach dem Verbot und der Auflösung nicht geschafft habe mich trotzdem zumindest einmal geheim zu treffen“ so Josef „Pepi“ Zauner.8
Ein wunderbares Zeugnis dieser Jahre sind die Logbücher der Patrullen aus dieser Zeit. Das Logbuch der Patrulle Wölfe zeigt die Jahre 1933 bis 1950 mit vielen sehr künstlerischen Zeichnungen und Fotografien aus der Zeit.
Logbuch der Wölfe (PDF)
- Protokollbuch, 1928–1932 ↩︎
- Der Begriff „Korps“ (sprich: chor) stammt vom französischen Wort corps für Körper, Gegenstand, Körperschaft, Truppenverband, der militärische Begriff bezeichnet eine größere Truppeneinheit wurde im 19. Jahrhundert aber auch als Bezeichnung für studentische Verbindungen genutzt. ↩︎
- Gerhard Schultes, Der Reichsbund der katholischen deutschen Jugend Österreichs, Wiener Dom-Verlag 1967, S. 134. (online verfügbar: https://austria-forum.org/web-books/derreichsbundde04de1967kfu/, 16.11.2023) ↩︎
- Ebd., S. 163. Als Ziele und Werte des Reichsbunds können die Bundesziele des sogenannten Steyrer Bekenntnisses genannt werden: Tatkatholizismus, Österreichische Heimat und Deutschtum, Gemeinschaftswirken, Beruf und Arbeit, Soziales Streben und Unser Bund im Volksganzen. ↩︎
- Ebd., S. 157ff. ↩︎
- Originalbrief des Landeshauptmann und Spendenanweisung vom 18. Juli 1936, Logbuch der Patrulle Wolf, 1933–1950, online verfügbar: 1933–1951 Logbuch Späher Wölfe (PDF) ↩︎
- m Jahr 1936 verdient ein Arbeiternehmer etwa 2.250 Schilling pro Jahr, das sind 190 Schilling im Monat, siehe dazu Monatsbericht des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, Österreichs Volkseinkommen 1913 bis 1963, Wien 1965, online verfügbar: https://www.wifo.ac.at/bibliothek/archiv/MOBE/1965Sonderheft_14.pdf (26.12.2023). ↩︎
- Aus einem Gedächtnisprotokoll nach einem Gespräch von Christoph Fuchs mit Josef Zauner im Jahr 2004. Josef „Pepi“ Zauner, geboren 1920 war langjähriger Feldmeister in Maxglan, er begann 1930 als Wölfling, wurde 1938 in den Reichsarbeitsdienst eingezogen, später zur Wehrmacht; nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1945 steigt er sofort wieder als Pfadfinderleiter ein bleibt das auch bis 1963 in der Gruppe Maxglan. ↩︎